Demonstrationen während der Session des nationalen Parlaments

Am Montag dieser Woche wurde der Bundesplatz von den Klimaaktivistinnen und -aktivisten der Bewegung Rise up for Change besetzt. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wurde der Bundesplatz von der Polizei geräumt. Es wurde viel diskutiert über das Recht und das Unrecht von politischen Kundgebungen auf dem Bundesplatz während der Session. Was aber bisher kaum erwähnt wurde, ist die Tatsache, dass sich das Berner Parlament (Stadtrat) in einer Phase befindet, in der das Kundgebungsreglement (KgR) überarbeitet wird. Der Prozess ist zu mehr als zur Hälfte abgeschlossen. Bei einer Reglementsänderung werden im Stadtrat normalerweise zwei Lesungen durchgeführt (eine Lesung kann man als eine Debatte verstehen). Die zweite Lesung, in welcher über die Reglementsänderung abgestimmt wird, steht noch bevor.

  • Seit dem Jahr 1925 gilt ein offizielles Verbot für Kundgebungen auf dem Bundesplatz während den Sessionen des eidgenössischen Parlaments. Heute ist dieses Verbot in Artikel 6 des Reglements vom 20. Oktober 2005 über Kundgebungen auf öffentlichem Grund (Kundgebungsreglement, KgR; SSSB 143.1) verankert.
  • Grund für das Verbot war offenbar die Gewährleistung der Sicherheit und ein störungsfreies Arbeiten (freier Zugang zum Bundeshaus, keine Attacken durch faule Tomaten, keine Lärmstörungen)
  • Auf Bundesebene wurde bereits mehrfach über die Aufhebung des Kundgebungsverbots auf dem Bundesplatz während den Sessionen debattiert. Die Bewilligung von Kundgebungen und anderen Anlässen auf dem Bundesplatz liegt aber in der Kompetenz der Stadt Bern (sofern mit übergeordnetem Recht im Einklang)
  • Natürlich hat die Stadt Bern als Bundeshauptstadt ein Interesse daran, eine Lösung zu finden, welche von der Bundesversammlung mitgetragen wird.
  • Die meisten Fraktionen in Berner Parlament wollen das Verbot lockern, da das Recht auf eine politische Versammlung zu den Grundrechten der Demokratie gehört. Gerade während der Session, wenn die Empfänger der politischen Botschaft versammelt sind, machen Kundgebungen Sinn. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man neben Kundgebungen noch weitere Möglichkeiten hat, seine politischen Rechte wahrzunehmen. Auch die GLP möchte Kundgebungen während der Session zulassen.
  • Selbstverständlich muss die Sicherheit weiterhin gewährleistet sein und es muss störungsfrei gearbeitet werden können. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch mit Kundgebungen problemlos möglich.
  • Der Gemeinderat hat seit Februar 2016 den Auftrag, politische Kundgebungen während den Sessionen zuzulassen. Dazu hat er mit der Vertretung der Bundesversammlung ein Memorandum Of Understanding (MOU) ausgearbeitet, um einen Pilotbetrieb zu ermöglichen und fortzusetzen. Ziel war es zu regeln, wie man etwas mehr Demokratie wagen könnte, ohne die Bundesversammlung vor den Kopf zu stossen. Das Memorandum Of Understanding gilt, bis das Kundgebungsreglement revidiert ist.
    (Per Januar 2020 ist allerdings das kantonale Polizeigesetz revidiert worden. Die im MOU vorgesehene Regelung, wonach Kleinstkundgebungen auf dem Bundesplatz bewilligungsfrei möglich sein sollen, widerspricht dem kantonalen Recht). Gemäss diesem muss für jede Demonstration eine Bewilligung eingeholt werden.

Meine Einschätzung zu den Geschehnissen von dieser Woche und was noch kommt:

  • Ich finde, der Gemeinderat hat sinnvoll gehandelt, weil er verhältnismässig reagiert hat. Er hat mit den Aktivistinnen und Aktivisten das Gespräch gesucht, Alternativen angeboten und eine gewaltfreie Räumung dieser bewusst illegalen Protestaktion durchführen können. Er hat seine Aufgabe wahrgenommen. Die Sicherheit war jederzeit gewährleistet und der Parlamentsbetrieb konnte geordnet stattfinden. Dazu kommt, dass die Aktivistinnen und Aktivisten gut organisiert waren, Telefonnummern und Namen der OrganisatorInnen bekannt gegeben haben und Corona-Regeln eingehalten haben.
  • Um nicht die Glaubwürdigkeit staatlicher Massnahmen zu gefähren, ist die Gleichbehandlung zentral. Der Gemeinderat darf sich nicht von seiner eigenen Einstellung zu den Protesten leiten lassen. Selbstverständlich müsste beispielweise bei einem Protestcamp des «Marschs fürs Läbe» genau gleich vorgegangen werden. Dies gebietet schon das Verhältnismässigkeitsprinzip. Das gleiche Prinzip führt jedoch zu einer restriktiveren Handhabung von Kundgebungen der «Coronaskeptiker», da diese bei ihren Aktionen, bei denen sie Corona-Schutzmassnahmen bewusst nicht befolgen, die Gesundheit von uns allen gefährden.

Alle, die mal wieder so tun, als wäre die Sache ganz einfach und sonnenklar, haben einmal mehr Unrecht. Als Bundeshauptstadt sind wir nicht nur dem Recht und der Bundesversammlung verpflichtet, sondern auch dem Volk. Ich hoffe, dass viele Bundesparlamentarierinnen und Bundesparlamentarier sich für den demokratischen Weg nach vorne und nicht für den Stillstand entscheiden werden. Und dass es möglichst bald bei der Klimadebatte wieder um Inhalte geht, denn das tatsächliche Problem ist der Klimawandel und nicht die Kundgebungen dazu.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert